KREIS MAINZ-BINGEN. Mit dem Schuljahr 2024/2025 ist in Rheinland-Pfalz die neue Förderschulordnung an den Start gegangen. Für Regel- und Förderschulen bringt sie einige Änderungen mit sich, die sich auch auf die Schulen im Landkreis Mainz-Bingen auswirken. „Die Reform soll die Inklusion stärken. Doch sie lässt viele Fragen offen, wie die individuelle, zielgenaue Förderung beeinträchtigter Kinder künftig gelingen soll“, kritisieren die zuständige Kreisbeigeordnete Almut Schultheiß-Lehn und Yvonne Bless, Behindertenbeauftragte des Landkreises, das neue Regelwerk.
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Formuliertes Ziel des Landes Rheinland-Pfalz ist es, Kindern die gleichen Chancen zu bieten, Inklusion im Unterricht zu fördern und mehr gemeinsames Lernen vom ersten Schultag bis zum Abschluss zu ermöglichen. Dabei gilt: Die Schulen erhalten landesweit den Auftrag, ihre pädagogischen Konzepte inklusiv auszurichten, um mehr gemeinsames Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Beeinträchtigung zu ermöglichen. Hintergrund ist unter anderem, dass es immer mehr Kinder mit Förderbedarf gibt – auch bei der Inklusion insgesamt gebe es in Rheinland-Pfalz Nachholbedarf.
„Der Ansatz, Inklusion weiter voranzutreiben, ist wichtig und notwendig. Aber Inklusion ist ein langfristiger Prozess, sonst gelingt er nicht“, sagt die zuständige Kreisbeigeordnete Almut Schultheiß-Lehn, die ihre Bedenken und Fragen zur Reform im Frühsommer auch an das rheinland-pfälzische Bildungsministerium formulierte.
Neu ist nun, dass alle Schulanfängerinnen und -anfänger ihre Laufbahn grundsätzlich gemeinsam in der Regel-Grundschule ihres Wohnortes beginnen. Kinder, die Schwierigkeiten beim Lernen aufweisen, können erst zu Beginn des dritten Schuljahres auf eine Förderschule wechseln. Der Förderschwerpunkt Lernen wird also erst zu diesem Zeitpunkt festgestellt – zu spät, findet die Kreisbeigeordnete. Sie befürchtet, dass die Reform den Zugang zu Förderschulen erschwert und Eltern damit weniger Einfluss auf die Schulwahl haben – insbesondere, wenn es um die Entscheidung geht zwischen Regelschulen und Förderschulen über die gesamte Schullaufbahn hinweg. Bislang konnten Kinder mit entsprechendem Gutachten direkt in die Förderschule eingeschult werden – dies bleibt in begründeten Ausnahmefällen weiter möglich und ist durch die Schulbehörde zu prüfen. Auch beim Wechsel auf eine weiterführende Schule gilt grundsätzlich: Zunächst nehmen die Kinder am Regelunterricht teil, sonderpädagogische Bildungsangebote erfolgen frühestens in der siebten Klasse. Mit diesem Schritt verhindert das Land Rheinland-Pfalz, dass Kindern frühzeitig eine Lernbeeinträchtigung attestiert wird. Wenngleich sich diese Änderung ausschließlich auf den Förderschwerpunkt Lernen bezieht, wurde gerade dieses wegfallende Gutachten in den Klassenstufen eins und fünf zur Ermittlung des Förderbedarfs unter anderem in Gremien des Landkreises Mainz-Bingen eingehend diskutiert. Darunter auch Schulleitungen, Eltern, Interessensvertretungen und Pflegeeinrichtungen. Zu groß sind die Bedenken, dass Kinder hier womöglich durchs Raster fallen könnten.
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Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich etwa auf die Qualität der Bildung und die Leistbarkeit durch das Personal. So gibt es Befürchtungen, dass die Regelschulen insgesamt nicht ausreichend auf die Änderungen vorbereitet beziehungsweise die notwendigen Voraussetzungen nicht geschaffen sind. Damit könnten sowohl Kinder mit Inklusionsbedarf nicht adäquat gefördert als auch die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler nicht angemessen berücksichtigt werden. „Eine Mehrbelastung aller Beteiligten gilt es unbedingt zu vermeiden“, so die Kreisbeigeordnete Schultheiß-Lehn.
Die Reform sieht darüber hinaus vor, dass die freiwillige zehnte Klasse im Interesse des gemeinsamen Lernens an Schulen mit Förderschwerpunkt Lernen sukzessive ausläuft. Will eine Schülerin beziehungsweise ein Schüler die Berufsreife erwerben, muss sie oder er dafür an eine Regel- oder Schwerpunktschule wechseln – dazu zählen Realschule plus, Integrierte Gesamtschule oder Berufsschulen mit Berufsvorbereitungsjahren. Hier besteht die Sorge, so formuliert es Claudia Pilger vom Verein PRO Förderschule, dass die Kinder durch den Schulwechsel aus ihrer gewohnten Umgebung gerissenen werden, den Anschluss verlieren und unter Umständen die Berufsreife nicht erlangen.
Demgegenüber will das Land Rheinland-Pfalz neue Ressourcen schaffen: Ziel ist es, neue Förder-Lehrkräfte zu gewinnen und finanzielle Mittel für die Inklusion bereitzustellen, um möglichen Herausforderungen gerecht zu werden und die Schulen zu unterstützen. 250 neue Planstellen sind schrittweise für den Ausbau des inklusiven Unterrichts vorgesehen. Ebenso soll ein verstärkter Fokus auf die Fortbildung von Lehrkräften sicherstellen, dass diese auf die Anforderungen der inklusiven Bildung vorbereitet sind. Auch das bisherige System sowie die Anzahl der Regel-, Schwerpunkt und Förderschulen an sich werde nicht verändert, die Schulen bilden weiterhin eine wichtige Säule der inklusiven Bildung.
Im Landkreis Mainz-Bingen gibt es sechs Förderschulen, fünf haben den Förderschwerpunkt Lernen.